Wer mit aufmerksamen Augen durch Ulm geht, dem fällt auf, dass überall in der Stadt seltsame Kalksteinbauten verstreut sind. Einige davon, wie beispielsweise das Ehinger Tor, die sogenannte „Pionierkaserne“ oder die Kienlesbergbastion beim Alten Fritz kennt wohl so gut wie jeder, andere Bauwerke sind dagegen nur wenig bekannt. Doch alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie gehören zum größten Festungsbau des 19. Jahrhunderts in Deutschland.
Ein kurzer Ausflug in die Geschichte:
Bekanntlich gelangte der gebürtige Korse Napoleone Buonaparte nach der Französischen Revolution schrittweise an die Macht, war dann ab 1799 faktisch Staatsoberhaupt und ernannte sich 1804 als Napoléon I zum Kaiser der Franzosen. Er überzog den europäischen Kontinent mit mehreren Kriegen, um den Einfluss Frankreichs zu vergrößern. 1813 musste er nach der Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig langsam den Rückzug antreten, wurde 1814 auf Elba verbannt, kehrte 1815 noch einmal für 100 Tage zurück und wurde anschließend endgültig auf die Atlantikinsel St. Helena verbannt, wo er 1821 starb.
1814/15 tagte der Wiener Kongress, der sich um die Restoration des Machtgefüges in Europa kümmerte. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war mit der Niederlegung der Krone durch Kaiser Franz II. am 6.8.1806 endgültig untergegangen – seit 1648 bestand es aber ohnehin nur noch auf dem Papier, die Einzelstaaten (über 300 an der Zahl!) waren mehr oder weniger eigenständig. Die Zahl der Staaten schrumpfte durch die Säkularisation der geistlichen Territorien im Reichsdeputationshauptschluss, Aussterben von Herrschaftshäusern und auch den Koalitionskriegen auf nur noch 39 Staaten im Jahr 1815. Diese wurden im „Deutschen Bund“ als Nachfolger des Reichs organisiert, einem sehr lockeren Staatenverbund, dem der österreichische Kaiser als Bundespräsident vorstand. Vereinbart wurde dabei auch der Bau von Bundesfestungen entlang der Grenzen zu Frankreich, um einen künftigen Angriffskrieg Frankreichs abwehren zu können. Zuerst wurden die schon bestehenden Festungen in Luxemburg, Landau und Mainz zu Bundesfestungen ausgebaut. 1841 wurde der Bau von zwei neuen Festungen beauftragt, die eine sollte im badischen Rastatt entstehen, die andere im württembergischen Ulm mit einem Brückenkopf im bayerischen Dorf Neu-Ulm, diese sollte die größte der Festungen werden und als zentraler Waffenplatz für Süddeutschland gelten.
Von 1842 bis 1859 wurde die Festung errichtet, an ihr arbeiteten mehrere tausend Handwerker, die aus dem ganzen Bund angereist waren. Leiter des Festungsbaus waren der preußische Major Moritz Karl Ernst von Prittwitz für die württembergische Seite und Major Theodor von Hildebrandt auf der bayerischen Seite, der diese Aufgabe vom verstorbenen Friedrich Herdegen übernahm. Bei Fertigstellung der Festung war diese allerdings schon wieder veraltet, da sich in der Zwischenzeit die Waffentechnik weiterentwickelte. Mit dem Zusammenbruch des Bundes im Juli 1866 nach dem Deutschen Krieg und der Reichsgründung 1871 ging die Bundesfestung zur Reichsfestung Ulm über. Sie wurde ab 1875 umfassend modernisiert, ab 1901 wurden mehrere zusätzliche Stützpunkte gebaut, der innere Festungsring wurde ab 1900 schrittweise aufgegeben und ab 1914 wurde begonnen, die Festung für den 1. Weltkrieg zu rüsten. Nachdem der Feind aber nie bis nach Ulm kam, wurden die Arbeiten schon im September 1914 eingestellt. Nach dem 2. Weltkrieg verfiel die Festung zusehends, bis der Tierarzt Dr. Otmar Schäuffelen 1967 mit Aufräumarbeiten am Fort Oberer Kuhberg begann, aus diesem Engagement entwickelte sich dann 1974 der Förderkreis Bundesfestung Ulm e.V., der sich bis heute ehrenamtlich um die noch verbliebenen Festungsteile kümmert.
Genug Geschichte, machen wir einen kleinen Rundgang durch die Ulmer Festung. Wir beginnen am Werk I auf der Ulmer Seite, also der Oberen Donaubastion. Hier befinden sich heute u.a. das Kulturzentrum Roxy, die Skaterhalle und der Club Schilli.
Weiter geht es entlang des Bismarckrings in Richtung Norden, wo man am Ehinger Tor vorbeikommt.
Immer noch in Richtung Norden gehend, muss man am Westring ein wenig suchen, denn hinter den Büschen auf der Ostseite versteckt sich der sogenannte „Böblinger Turm“, das Reduit der früheren Mittelbastion (Werk IV).
Wenn man den Hindenburgring dann weiter entlang geht, kommt man zum unter Autofahrern berüchtigten Blaubeurer Ring. In dessen Mitte steht das Blaubeurer Tor, das durch Bürgerinitiativen und den Verein Alt-Ulm in den 1960ern vor dem Abriss bewahrt werden konnte.
Jetzt muss man den Fußweg entlang der Bundesstraße nehmen, um zum nächsten Festungsteil zu gelangen. Ab diesem sind dann alle Werke bis hin zur Oberen Gaisenbergbastion mehr oder weniger vollständig erhalten. Zuerst kommt man an die Kienlesbergbastion, deren imposante Doppelcaponniere jedem Autofahrer bekannt vorkommen dürfte. Hier ein Bild vom Reduitgebäude:
Durch die Bastion kann man hindurchgehen und über den Wall gelangt man dann zur Courtine XI, die die Bastion mit der Wilhelmsburg verbindet.
Die Krönung erwartet einen dann auf dem Michelsberg: Die imposante Wilhelmsburg. In den Innenhof der gigantischen Zitadelle, die an der Außenseite 200 x 130 Meter misst und ein geschätztes Gewicht von 300.000 Tonnen hat, würde das Ulmer Münster bequem hineinpassen.
Nördlich der Wilhelmsburg befindet sich die Wilhelmsfeste, die aus fünf Festungswerken besteht. Sie ist zusammen mit dem vorgelagerten Fort Prittwitz der einzige Teil der Festung, der auch heute noch vom Militär genutzt wird.
Einmal um die Feste herum und an der Wilhelmsburg wieder vorbei, geht man die Prittwitzstraße hinunter und kommt so an der Courtine XVIII vorbei.
Direkt um die Kurve der Prittwitzstraße liegt dann die Obere Gaisenbergbastion (Werk XIX), und ab hier bis hinunter zur Donau präsentiert sich die Festung dann auch leider wieder sehr lückenhaft.
Weiter bergab, entlang der Stuttgarter Straße, gelangt man dann zur Caponniere XX, die unter Ulmern besser als Jazzkeller Sauschdall oder Club CAT bekannt sein dürfte. Am Fuß des Michelsbergs angekommen, blickt man auf die Doppelcaponniere der Unteren Gaisenbergbastion (Werk XXI), von der leider seit dem Abriss in den 1960er Jahren nicht mehr allzu viel vorhanden ist.
Wenn man nun am Ostplatz nach links ins Wohngebiet abbiegt, läuft man durch das Glacis bis zur Donau hinunter. Von den dazwischen liegenden Werken XXII und XXIII ist leider nur noch sehr wenig übrig geblieben, so dass der nächste größere Bau auf der Strecke erst wieder die Untere Donaubastion ist, die heute vorwiegend als Schule genutzt wird.
Am Fluss findet man dann den Unteren Donauturm, der auf Grund seines Baustoffs oft nur „Roter Turm“ genannt wird. Gleich nebenan befindet sich dann der Rest der Ländemauer der Unteren Stadtkehle. Von hier aus sollte im Ernstfall eine Kette mit einem Glieddurchmesser von einem Meter über die Donau bis zum Anschlussblockhaus der Halbbastion 1 auf der gegenüberliegenden Seite gespannt werden
Geht man nun über die Gänstorbrücke nach Neu-Ulm, wird man erstmal vergeblich nach Festungswerken suchen – sie sind leider nicht mehr da. Neu-Ulm hat leider bis in die jüngste Zeit ziemlich viel von der Festung abbrechen lassen. Erst an der Bahnbrücke an der Reuttier Straße stößt man dann wieder auf eins: das Eisenbahnblockhaus der Courtine 2.
In Richtung Westen wirds aber wieder besser: Die noch in den 1990ern vom Abriss bedrohte Caponniere 4 wurde sorgsam wieder restauriert und 2008 in die Landesgartenschau mit eingebunden.
Weiter nach Westen und über die Memminger Straße gehend, gelangt man dann in den Glacis-Stadtpark, ab hier bis zur Donau ist der bayerische Brückenkopf nahezu vollständig erhalten.
Am Ende des Parks sieht man auf der anderen Seite der Schützenstraße dann die Caponniere 8.
Am Besten geht man nun ein wenig in Richtung Osten und biegt vor der Bahnbrücke links in die Dammstraße ab. An deren Ende befindet sich auf der linken Seite mit dem Memminger Tor das einzige erhaltene Neu-Ulmer Stadttor – das gegenüberliegende Augsburger Tor wurde Ende der 1950er leider abgerissen.
Nun kommt man, wenn man unter der Bahnbrücke durchgeht und gleich wieder rechts läuft, wieder über die Donau nach Ulm, dort geht man wieder unter der Bahn durch und kommt dann zum „Weißen Turm“, dem Oberen Donauturm und zur Oberen Stadtkehle.
Hat man diesen Rundgang geschafft, ist man gut 12 Kilometer gelaufen! Wer jetzt noch Lust hat, kann noch die Forts erkunden. Nachfolgend die Forts nach Werksnummern sortiert mit den Adressen für die Navigation:
Nachfolgend noch ein paar weitere interessante Punkte, die im Zusammenhang mit der Bundesfestung bzw. Reichsfestung stehen:
Weitere Infos zur Bundesfestung: